• König Friedrich II. von Preußen nicht die Schiffbarmachung der Ruhr für den Kohlentransport vorangetrieben hätte?
  • Napoleon nicht halb Europa in seine Abhängigkeit gebracht hätte?

Die Ruhr war von alters her ein Transportweg bis etwa 1600. Da später der Handel mit Steinkohle, Salz und Getreide in andere Regionen wichtig wurde,  setzte Friedrich II. den Ausbau des Flusses zur Wasserstraße durch. Der Fluss musste für größere Schiffe reguliert werden. Schlagden, an denen die Fracht umgeladen werden musste, wurden durch Schleusen und Stauwehre ersetzt. Platz für Häfen wurde benötigt, in denen z.B. Kohle von Pferdebahnen und Lagern (Magazinen) auf die Ruhraaken umgeladen wurden. Das musste politisch durchgesetzt werden, weil die Ruhr sechs politische Territorien durchquerte. Nur die Endpunkte für die Ruhrkähne lagen in Preußen. Dazwischen mussten sie durch vier Territorien, mit denen die königlichen Beamten hart verhandeln mussten, um den Bau der 8 von 16 Schleusen auf nicht-preußischem Gebiet durchzusetzen. Nach nur vier Jahren Bauzeit war das Projekt 1780 fertiggestellt. Auf dem Höhepunkt der Ruhrschifffahrt im Jahre 1860 werden 940.000 Tonnen Güter transportiert; erst der Bau der Eisenbahn brachte das Aus.

König Maximilian I. Joseph von Bayern übte auch die Herrschaft über das Herzogtum Berg aus. Die bergische Unterherrschaft Broich mit dem Hauptort Mülheim bildete den nördlichsten Teil. Umgeben von der Herrschaft Broich lag beiderseits der Ruhr die Reichsgrafschaft Styrum. Max I. trat 1806 das Herzogtum an Kaiser Napoleon ab und wurde mit dem Fürstentum Ansbach-Bayreuth entschädigt. Napoleon setzte seinen Schwager Joachim Murat als Großherzog ein. Das um weitere rechtsrheinische Gebiete erweiterte Großherzogtum war Teil des französischen Vasallenstaates Rheinbund. Bald nach Napoleons Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) löste sich das Großherzogtum auf und wurde 1815 dem Königreich Preußen zugesprochen.

Frankreich führt ein neues Rechtssystem ein

Der von Napoleon Bonaparte geschaffene „Code civile“ basiert auf den wesentlichen Forderungen der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – für alle männlichen Bürger. Er wurde auch in den von Frankreich besetzten Gebieten eingeführt. Es galt dort bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) im Jahre 1900. – Das Wichtigste zusammengefasst:

  • Freiheit für jeden – Gewerbefreiheit freie Berufswahl und Abschaffung des Zunftzwangs
  • Gleichheit vor dem Gesetz
  • Schutz des Privateigentums und Schaffung der juristischen Basis für die Marktwirtschaft
  • Personenstandswesen: Aufzeichnung von Geburten und Todesfällen

Warum war die Bevölkerung der Herrschaft Broich Nutznießer der politischen Veränderungen?

Der französischen Regierung verdanken wir den Umsturz der mittelalterlichen Staats- und Gesellschaftsordnung. Möglich wurde dies durch die Beseitigung der Kleinstaaten und des mittelalterlichen Herrschaftssystems von Grundherrschaft und Abhängigkeit (Feudalsystem). So konnten Reformen in Justiz- und Zivilverwaltung umgesetzt werden. Hierzu gehört auch die Erhebung Mülheims zur Munizipalität (Bürgermeisterei) im Jahre 1808.

Die Herrschaft Broich wurde aufgelöst. Nach französischem Vorbild  wurde ein Munizipalrat (Stadtrat) gebildet und Munizipalbeamte (Verwaltungsbeamte) wurden eingesetzt. Johann Hermann Vorster erhielt den Posten des ehrenamtlichen Munizipaldirektors (Bürgermeisters). Dieser konnte allerdings nur Anweisungen der vorgesetzten Behörde ausführen. Die Stadt Mülheim an der Ruhr hatte aber auch nur etwa 12.000 Einwohner.

Die unter der Franzosenherrschaft eingeleiteten Reformen wirkten sich entscheidend auf den Wirtschaftsgeist und die unternehmerischen Aktivitäten aus. 

Ein wichtiges Bespiel hierfür ist der Unternehmer Mathias Stinnes. Er wurde 1790 in der Herrschaft Broich geboren. Sein Vater war Ruhrschiffer und ein früher Nutznießer der vom preußischen König durchgesetzten Ruhrregulierung. Er begann als Schiffsjunge und gründete im Jahr der Stadtgründung 1808 mit seinen Brüdern eine Firma für Schifffahrt und Kohlenhandel. Zwölf Jahre später gehörten Stinnes vier Bergwerke und 36 Bergwerksbeteiligungen. Seine Flotte auf Rhein und Ruhr umfasste mehr als 65 Schiffe. Er war ein „Pionier der Dampfschifffahrt“. Mathias Stinnes ist Gründer eines weltweit handelnden Familien-Konzerns mit über 600.000 Beschäftigten (1924).

Jean Baptiste Coupienne ist ein weiterer Unternehmer, der für den Wandel der jungen Stadt an der Ruhr zur Industriestadt von großer Bedeutung war. Er wurde 1768 in Dinant im heutigen Belgien geboren. Im Gebiet des damaligen Fürstbistums Lüttich hatte er offenbar Einblick gewonnen in die fortschrittliche Fertigung von Leder. Er kam nach Mülheim und heiratete die Tochter eines reichen Gerbers. 1801 gründete er eine Gerberei am Rumbach. Er wurde Munizipalrat und städtischer  Beigeordneter. Er wird als „Vater der Mülheimer Lederindustrie“ bezeichnet, die bis Mitte der 1920er Jahre die bedeutendste im Deutschen Reich war.

Johann Dinnendahl ist ein weiterer Zuwanderer, der 1780 in Horst – heute zu Essen – geboren. Bei seinem Bruder Franz wurde er zum Mechaniker ausgebildet. Das Ruhrufer nördlich der Mülheimer Innenstadt war für ihn 1815 der geeignete Standort für eine mechanische Werkstatt für den Bau von Dampfmaschinen. Eine Eisenschmelze folgte bald. Gemeinsam mit dem Ruhrorter Kaufmann Friedrich Wilhelm Liebrecht ließ er einen Hochöfen mit Koksbetrieb errichten, den ersten dieser Art in Deutschland nach englischem Vorbild. Noch heute trägt der Nachfolgebetrieb den Namen Friedrich Wilhelms-Hütte. Der Konstrukteur und Erfinder verließ Mülheim und baute an der Weser einen ähnlichen Betrieb auf.

Wilhelm Theodor Grillo – Spross einer protestantischen Familie aus Norditalien – wurde 1819 in Essen geboren. Er begann 1842 als Eisenwarenhändler auf dem Kirchenhügel und brachte es mit seinen Brüdern zum Industriellen in der Zinkverhüttung und -verarbeitung in Eppinghofen und darüber hinaus im Ruhrgebiet. Bekannt wurde er auch durch sein soziales Engagement. Der Grillo-Konzern existiert heute mit der Firmenzentrale in Hamborn. Schwerpunkt ist immer noch Zink, neu ist der Geschäftszweig Methan.

Soviel für heute – in der nächsten Folge betrachten wir die Entwicklung Mülheims vom Landstädtchen zur Industriestadt.

Es grüßt Euch herzlich
Euer Günter

Text: Günter Fraßunke
Fotos: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr