Einige haben wir schon kennengelernt: Mathias Stinnes (Reeder, Zechenbesitzer und Kohlenhändler), Jean Baptiste Coupienne („Vater der Lederindustrie“), Johann Dinnendahl (Erfinder, Konstrukteur – Bau von Dampfmaschinen und modernen Hochöfen) und Wilhelm Theodor Grillo (Zinkverhüttung und -verarbeitung). Zwei weitere Unternehmer sollen das Bild abrunden.

August Thyssen wurde 1842 in Eschweiler geboren – auch er also ein Zugereister. Er studierte Technik in Karlsruhe und Handel in Antwerpen und arbeitete erst mit seinem Bruder Joseph im Bankhaus seines Vaters. Über Duisburg, wo er mit belgischen Verwandten ein Eisenwerk gründete, kam er 1871 an die untere Ruhr. Im ländlichen Styrum fand er an der Eisenbahnstrecke zwischen Duisburg und Essen ein Grundstück für den Bau seines Walzwerks Thyssen & Co. Dies wurde die Keimzelle eines der größten europäischen Montankonzerne. Da war er noch keine 29 Jahre alt. Ein Jahr später heiratete der Katholik die mit einer stattlichen Mitgift versehene evangelische Tochter eines Mülheimer Lederfabrikanten. Er wurde Ehrenbürger von Styrum.

 

Wilhelm Schmitz wurde 1831 in Mülheim an der Ruhr geboren. Sein Vater handelte mit Tuchwaren und hatte später ein Gemischtwarenladen am Dickswall. Nach abgebrochener Schulausbildung nahm er eine lukrative Lehrstelle bei einem Großhändler für Kolonialwaren an. Nach dem Tod des Vaters übernahm der 17-Jährige Verantwortung im mütterlichen Geschäft und wurde Angestellter in seinem Lehrbetrieb. Nach der Heirat nannte sich seine Familie und die Firma nach seiner Frau Schmitz-Scholl. Er handelte mit Röstkaffee, Tee und Kakao. Sohn Karl entwickelte die Firma „Tengelmann’s Kaffee-Geschäft“ als Dachgesellschaft für im Einzelhandel tätige Unternehmen, darunter auch WISSOLL als Hersteller von Süßwaren. Tengelmann gehörte bis zur Umstrukturierung durch die Familie Haub zu den zehn größten Familienunternehmen Deutschlands.

Diese Reihe ließe sich noch fortsetzen, doch wollen wir den Überblick behalten.

Entstehung des Ruhrgebiets im 19. Jahrhundert: Was wird aus Mülheim?

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Herrschaft Broich / die Stadt Mülheim an der Ruhr von der Einwohnerzahl größer als die Nachbarstädte Duisburg und Essen. Nicht zuletzt durch Eingemeindungen der umliegenden Gemeinden liefen die Nachbarstädte Mülheim bald den Rang ab.

Mülheim verzichtete bewusst auf die Ausdehnung nach Norden (Oberhausen, 1904), aber die angestrebte Gebietserweiterung nach Süden misslang 1929 und 1975 weitgehend. Eigentlich verwundert es, dass Mülheim an der Ruhr immer noch seine Selbstständigkeit zwischen den Oberzentren Duisburg und Essen bewahren konnte. Es gab bereits in den 1920er Jahren Pläne für eine „Ruhrstadt“ oder eine „Ruhrmündungsstadt“. Das „Vier-Städte-Modell“ von 1972 wäre Mülheim nach Essen eingemeindet worden. Auch Fusionen waren angedacht – wie etwa Mülheim mit Oberhausen.

Letztlich fehlt im Ruhrgebiet der Wille, in größeren Dimensionen zu denken und zu planen. Das Kirchturmdenken verhindert bis heute, das Ruhrgebiet zu einem effektiven Siedlungs- und Wirtschaftsraum zu gestalten.

Ohne fähige Bürgermeister oder Oberbürgermeister wäre der Aufstieg Mülheims zwischen 1830 und 1930 zu einer kleinen Großstadt und zum Mittelzentrum nicht denkbar gewesen. Hier eine Auswahl:

Den Reigen eröffnet Christian Weuste. Der gelernte Verwaltungsfachmann stammte aus dem Oberbergischen. Er amtierten von 1822-1852 als Bürgermeister und Leiter der Landbürgermeisterei. Er schuf die Anfänge einer kommunalen Infrastruktur und steuerte den Aufschwung von Handel, Gewerbe und Industrie. In seine Amtszeit erhielt Mülheim Straßenverbindungen nach Norden (Eppinghofer Straße) und Osten (Aktienstraße), die erste Ruhrbrücke (Kettenbrücke), Rathaus am Marktplatz und eine Höhere Bürgerschule, die sich später zur Oberrealschule entwickelte, eine Handelskammer und die Sparkasse

Karl von Bock und Polach war Oberbürgermeister von 1879-1902. Sein Vater war preußischer Offizier. Auch er wurde Offizier und Teilnehmer an den Kriegen von 1864 und 1866. Danach wechselte er in die Kommunalverwaltung. Seine Projekte waren: Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur (Wege und Plätze, Bau eines elektrischen Straßenbahnsystems im 15-Minutentakt wie heute), Gasanstalt in städtische Regie zusammen mit den Wasserwerken, städtische Müllabfuhr, Einrichtung des Amtsgerichts, Kaiserliches Postamt (heute Kunstmuseum), Mülheim wurde einzige Militärgarnison im Ruhrgebiet.

Dr. iur Paul Lembke war Oberbürgermeister von 1904-1928. Der aus Mecklenburg stammende Sohn eines Rittergutsbesitzers machte sein Abitur in Lübeck, studierte Jura in Straßburg, Heidelberg und Berlin. Nach mehreren Stationen seiner Ausbildung wurde er ans Landratsamt Mülheim versetzt. Nach weiteren Stationen in ganz Deutschland wurde er 1900 Landrat in Mülheim. 1904 wurde er vom Stadtrat zum Oberbürgermeister gewählt.

Er prägte wie kein anderer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Entwicklung der Stadt. Ihm gelang die Eingemeindung der Bürgermeistereien Broich, Styrum und Heißen mit der Konsequenz, dass eine zweite Ruhrbrücke nach Saarn gebaut werden musste und Mülheim 1908 mit 100.000 Einwohnern Großstadt wurde.

Das Solbad und die Rennbahn am Raffelberg gehen auf Lembkes Initiative zurück. Die wenig verkehrstaugliche Kettenbrücke über die Ruhr musste 1912 der Schlossbrücke weichen und ermöglichte die Führung der Duisburger Straßenbahn bis in die Mülheimer Innenstadt sowie den Bau neuer Strecken links der Ruhr nach Saarn und zum Uhlenhorst. Das Stadtbad am Mülheimer Brückenkopf entsprach damals modernstem Standard. Zusammen mit der 1926 fertig gestellten Stadthalle verdankte Mülheim damals seinen Beinamen „Ruhr-Venedig“. Während des Ersten Weltkriegs wurde das repräsentative Rathaus errichtet. Unter Lembke entstanden mehrere große Schulgebäude; ihm gelang zusammen mit Unternehmern die Ansiedlung des heutigen Max-Planck-Instituts. Damit legte er den Grundstein für den Wissenschaftsstandort Mülheim an der Ruhr. Auch das Wasserkraftwerk Kahlenberg sowie der Ruhrkanal mit dem Hafen gehen auf sein Konto.

Was will man mehr erreichen innerhalb einer Amtszeit von 24 Jahren trotz verlorenem Ersten Weltkrieg und der schweren Geburt der Republik mit Ruhrbesetzung und Inflation?

Fotos: Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr