In Begleitung von Fahrrädern mit der Bahn von Mülheim nach Landeck zu fahren macht Spaß – wenn ein Zug der Österreichischen Bundesbahnen im Spiel ist. Diese Züge haben einen speziellen Waggon für den Radtransport. Durch eine Art Garagentor – so scheint es im Vergleich zu den Einstiegslöchern der DB-Wagen – werden die Räder von freundlichen Eisenbahnern in Empfang genommen. Der größte Luxus: Am Zielbahnhof werden die Räder wieder „ausgereicht“. Nur für das Gepäck müssen die Radler selbst sorgen.

 

Vier Mädels und der Autor befuhren vom 14. bis 22. August 2018 den Innradweg von Landeck in Tirol nach Passau in Niederbayern. Das bedeutete sieben Tage im Sattel mit Tagesetappen zwischen 56 und 74 km. Insgesamt kamen so rund 450 km zusammen. Wie üblich hatte die Gruppe ausreichend Zeit für Besichtigungen der Städte entlang der Route und Pausen in den zahlreichen Cafés und Biergärten eingeplant, so dass trotz der teilweise anspruchsvollen Streckenführung über lange Kiesstrecken und bissige Steigungen trotz nur eines E-Bikes kein Stress aufkam. Und der Sommer meinte es sehr gut: Bis auf den Ankunftstag war es durchweg trocken und mit Temperaturen bis an die 30 Grad auch angenehm warm, denn der Fahrtwind kühlt. Die majestätische Kulisse der bis knapp 2.500 m hohen Berge vor dem strahlend blauen Himmel begleitete uns die ersten Tage. Später gingen die Berge in Hügel über, bis uns schließlich die Ebenen Niederbayerns begleiteten.

 

Das auf der Etappe von Landeck nach Inzing liegende Zisterzienserkloster Stift Zams war leider am Reisetag geschlossen (Mariä Himmelfahrt), so dass wir im Wesentlichen nur die äußere Hülle dieser bereits 1273 gegründeten, mehrfach zerstörten und von 1650 bis 1750 im heute sichtbaren Barock-Stil wieder errichten Anlage besichtigen konnten. Vor dem tiefblauen Himmel waren die gelb-weißen Gebäude sehr beeindruckend.

 

Das erste Ziel des folgenden Tags war das alte Römerlager Oenipons, heute besser bekannt als Innsbruck. Die Tiroler Landeshauptstadt hieß uns wie tausende anderer Touristen mit gut gefüllten Fußgängerzonen willkommen. Vor dem „Goldenen Dachl“ drängten sich die Touris aus aller Herren Länder. Das „Dachl“ mit den 2.657 vergoldete Kupferschindeln überdeckt bereits seit dem Jahr 1500 die kaiserliche Loge, aus der die Herrschaften Festivitäten beiwohnen konnten.

 

Etwas abseits vom direkten Weg liegt Hall, eine der am besten erhaltenen Altstädte Österreichs. Aufgrund der 700 Jahre währenden und erst 1967 eingestellten Salzgewinnung lag hier lange Zeit der bedeutendste Wirtschaftsplatz in Nordtirol. 1486 wurde in Hall der erste Silbertaler geprägt, eine Münzart, die bis weit in das 19. Jahrhundert hinein ein bedeutendes Zahlungsmittel war und auch dem Dollar Pate stand. Etwas weiter stromab erwarteten uns in Wattens Kuriositäten und Kostbarkeiten ganz andere Art. Dort steht ein Teil der Swarovski-Werke, die hierzulande für teuren Glitzerkram aus Kristall bekannt sind. Und es gibt die Kristallwelten, eine von André Heller 1995 anlässlich des 100jährigen Firmenjubiläums errichteten Erlebniswelt in Form eines Riesen.

 

Das Etappenziel Schwaz war im Mittelalter das größte europäische Bergbauzentrum und mit 20.000 Einwohnern hinter Wien die zweitgrößte Stadt im Habsburger-Reich. Billiges, im amerikanischen Tagebau gewonnenes Silber drängte im 19. Jahrhundert auf den Markt und besiegelte um 1830 den Niedergang dieser Stadt, die nie von einer Stadtmauer geschützt war. Aus diesem Grund stand die Münze zur Verarbeitung des Silbers im befestigten Hall.

 

Auf der fast 75 km langen vierten Tagesetappe gab es neben der Landschaft zwei Höhepunkte. In der weltbekannten 5000-Seelen-Gemeinde Kramsach gibt es einen Museumsfriedhof, auf dem u.a. zahlreiche Grabinschriften vorwiegend aus dem Alpenraum zusammengetragen sind – angeblich das meistbesuchte Museum Tirols. Über die Grabinschriften haben wir uns – vielleicht etwas pietätslos, aber es war ja kein echter Friedhof – schier schief gelacht. Das zweite Highlight war das Städtchen Kufstein, bekannt durch das Lied von der „Perle Tirols“, das 1947 von dem Tiroler Karl Ganzer komponiert und 1968 von dem Jodler Franzl Lang bekannt gemacht wurde. Kaum bekannt ist allerdings, dass der erste Film „Das Fliegende Klassenzimmer“ (Peter Kraus, Paul Dahlke, Willy Reichert u.a.) von Erich Kästner 1953 ausschließlich in dieser Stadt gedreht wurde.

 

Über Nußdorf am Inn, 2001 als schönstes Dorf Bayerns und 2004 als schönstes Dorf Europas ausgezeichnet, ging die Reise weiter über Rosenheim (die gleichnamigen Cops waren gerade nicht daheim) nach Wasserburg. Diese Stadt weist eine Besonderheit auf. Das in einer Schleife des Inn liegende historische Stadtzentrum wird zu 7/8 vom Wasser umflossen. Im Dreißigjährigen Krieg konnte die Wasserburger Brücke, der letzte noch erhaltene Übergang über den Inn, erfolgreich gegen schwedische Truppen gehalten werden, was die Verteidigung der bayerischen und österreichischen Gebiete östlich des Inn entscheidend vereinfachte.

 

Und dann kam die Bergetappe, von Wasserburg nach Mühldorf, jeweils am Inn. Wir nutzten dabei erstmals weitgehend Radwege auf dem deutschen Ufer. Die Strecke hatte es in sich. Es gab zwar keine 22 Kehren wie bei der Alpe d’Huez (Tour de France), und die Steigung war nicht annähernd so groß, doch sie verlangte der Radgruppe einiges ab. Manch eine Steigung erforderte Absteigen und Schieben. Doch am Ende des Tages war alles in Ordnung. In der Nähe von Mühldorf fand 1322 die letzte Ritterschlacht ohne Feuerwaffen statt. Der Streit um die Reichskrone wurde zugunsten König Ludwig des Bayern gegen den Habsburger Friedrich den Schönen entschieden. Ludwig wurde 1328 zum Deutschen Kaiser gekrönt. Somit bewegte sich die Radtour auch auf sehr historischem Boden.

 

Am siebten Tag erreichten wir Marktl am Inn. Das ist da, wo „Wir sind Papst“ herkommt. Doch der Mann weilte wie üblich in Italien. Das Dorf indes ist wenig gastfreundlich, obwohl internationale Touristen herkommen. Kein Kaufmannsladen, und die einzige Bäckerei öffnet nur für 2 Stunden am Tag. Einzig erfreulich war die öffentliche Toilette, auf der die Wasserflaschen mit leidlich kühlem und frischem Wasser gefüllt werden konnten.

 

In Simbach trafen wir auf erschreckende Markierungen: Der Inn hat hier üblicherweise einen Wasserstand von 50 cm. Während des Hochwassers von 2016 überschritt der Pegel das Zehnfache des Üblichen - 506 cm. Die weiter nördlich gelegene Barockstadt Schärding besitzt ein nahezu vollständig erhaltenes historisches Stadtbild in Stil der Inn-Salzach-Architektur.

 

Zum Abschluss der Tour erreichte die Gruppe am Abend Passau, die Drei-Flüsse-Stadt. Inn und Ilz fließen hier in die Donau. Genauer gesagt trifft der Inn bei Stromkilometer 2.225,2 auf den zweitlängsten Fluss Europas, der sich dann bei Kilometer 0 ins Schwarze Meer ergießt. Fünf Minuten vor 18 Uhr erreichten wir über steile Treppen den Passauer Dom. Die Zeit reichte gerade, um einen sehr kurzen Blick in das Innere dieses gewaltigen Gebäudes zu werfen, dann drängte uns ein Kirchendiener hinaus – strenge Sitten hat es in Bayern. Doch andere Mütter haben auch schöne Töchter, und so gab es noch einen fast zweistündigen Stadtrundgang, bis endlich und zum ersten Mal auf der gesamten Tour ohne zuvor geduscht zu haben auf dem Platz vor unserem uralten, doch ebenso gemütlichen Hotel die Halben und der Zwiebelrostbraten auf dem Tisch standen.

 

Je weiter es den Fluss hinab ging, desto breiter und behäbiger wurde er. Die Stromschnellen wurden gebändigt, Staustufen traten an ihre Stelle. Doch eines blieb bis Passau, zur Mündung in der Drei-Flüsse-Stadt: Die Farbe des Wassers. Blau-grün-weiß (nicht weiß-blau-grün, denn der Inn fließt ja auch durch Österreich und die Schweiz) fließt der Fluss in Passau in die Donau und drückt diesem Fluss über viele Kilometer seinen Farbstempel auf. Begleitet wird der Fluss von häufig gut ausgebauten Radwegen, besonders auf der österreichischen Seite. Selbst die Schotterwege sind dort gut befestigt, während auf der deutschen Seite die Qualität meist geringer ist. Wo wir auch hinkamen: Überall blieb das Gepäck am Fahrrad, und wir hatten keine Sorge, dass es anschließend mehr war.

 

War die „Bergetappe“ zwischen Wasserburg und Mühldorf über rund 60 km die physisch anstrengendste, so forderte die letzte Etappe, die Bahnfahrt von Passau nach Mülheim, von allen das Letzte: Geduld, Improvisationsvermögen, Geschick und Muckis beim Ein- und Ausladen der Räder und letztlich noch Kraft für den weit nachmitternächtlichen Aufstieg vom Bahnhof Mülheim zu den einzelnen Wohnorten. Dabei war die Rückreise so einfach geplant: Einmal Umsteigen in München mit Pause für eine Weißwurscht und eine Halbe.

Doch die Deutsche Bahn hatte sich für uns eine Reihe besonderer Highlights ausgedacht. Von baustellenbedingten Ersatz eines Zuges durch zwei, Besichtigungsfahrten am Münchner Flughafen, dem Ausfall von Lokomotive und Ersatzlokomotive (was uns erst in München und dann in Augsburg stranden ließ), Bimmelbahnfahrten mit zwei Zügen auf der Strecke Augsburg – Ulm – Stuttgart (wir kennen jetzt jede Milchkanne an dieser Strecke), überhitzte Fahrradabteile in den IC (macht besonders Spaß beim Ein- und Ausladen der Fahrräder und des Gepäcks) und einem ohne Ansage „umgekehrt gereihten“ Regionalexpress in Köln (was uns um halb 12 Uhr nachts zu einem längeren Sprint auf dem Bahnsteig veranlasste und gleichzeitig unsere Kondition bewies). Aus einer bequemen Bahnfahrt von 10 Stunden Dauer wurde ein Trip von 18 Stunden mit sieben Umstiegen – das entspricht neunmal Ein- und Ausladen der Räder und des Gepäcks.

 

Doch das Fazit am Ende dieser acht Tage: Eine wunderschöne, erlebnisreiche Tour durch eine teilweise atemberaubende Landschaft mit vielen interessanten Städten und Sehenswürdigkeiten, aber auch längeren Strecken auf Schotterpisten am Ufer des Inn, auf denen es „Natur pur“ gab, und nicht zu vergessen mit einem netten Radteam, das sich durch nichts unterkriegen ließ.

 

Text und Fotos: Wolfgang Schaar