Vier Stunden dauert die Bahnfahrt zur Radtour mit dem Thalys von Duisburg nach Paris, Gare du Nord. Sechs Mädels und zwei Kerls, Fahrradmitnahme leider nicht möglich. So mussten Leihräder her, die unser Guide Rosi bereits vorab bestellt hatte. Vorab hatte sie auch während einer Vorbereitungsreise die Örtlichkeiten gecheckt, und selbstverständlich waren auch die Routen perfekt ausgearbeitet. Danke, Rosi, so kennen und schätzen wir dich!

 

La Défense im Westen von Paris und in der Nähe des Hotels gelegen bot Gelegenheit für den ersten bzw. neuerlichen Kontakt mit Land und Leuten. Vor dieser Kulisse moderner Architekturen in Europas größter Bürostadt finden sich immer wieder grüne Oasen, die zum Verweilen einladen. Ein mehrstündiger Spaziergang erschloss diese Mischung von Büros, Wohnungen, Einkaufszentren rund um die Grande Arche, den modernen Triumphbogen der Stadt. Faszinierend, wie sich dieses moderne Bauwerk in die strenge Geometrie der Stadtplanung des Präfekten Haussmann einfügt. Dieser hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts die offenbar recht chaotische Stadt mit grandiosen Gebäuden, Boulevards und Sichtachsen umgeplant und so die besonders aus der Luft erkennbare Geometrie der Metropole an der Seine geschaffen.

 

Vom Hotel in Neuilly sur Seine war es eine gute Stunde mit Bus und Métro zum Standort der Fahrräder in der Nähe der Place de la Bastille. Auf diesem Platz erinnert eine Säule mit einer goldenen Statue an den Sturm auf die Bastille in 1789. Schnell hatten wir ihr den Namen „Gold-Else“ gegeben, der eigentlich der Siegessäule in Berlin vorbehalten ist. Im August ist die Stadt erfahrungsgemäß leer, weil die meisten Bewohner in Urlaub sind. Doch werden sie ersetzt durch jede Menge Touristen, so dass die Fahrt in der Métro stets ein Erlebnis war – nicht nur wegen der wechselnden Temperaturen in den Wagen, der teilweise fischkonservenartigen Enge und dem Treppauf, Treppab in den Stationen der bereits seit 118 Jahren bestens funktionierenden U-Bahn. Aufzüge? Fehlanzeige. Daher mussten die Fahrräder jeden Abend zurück in den Stall.

 

Die Stadt Paris hat die Zeichen der Zeit erkannt und tut viel, um ein attraktives Radwegenetz (weiter) zu entwickeln. Bis 2020 will sie 150 Millionen Euro in den Ausbau des Radwegenetzes investieren. Damit will Paris an die europäischen Radmetropolen Amsterdam und Kopenhagen aufschließen und den Radverkehr um 200 % steigern. So gibt es bereits jetzt durchgehende Radwege entlang der Seine. Auf vielen größeren Straßen sind Radwege durch Bordsteine von Fahrbahn und Gehweg abgetrennt, oder es gibt sehr eindeutige Markierungen. Allerdings gibt es wie in Deutschland auch in Paris rücksichtslose Deppen, die ihre Blechkisten auf Radwegen parken, Radler zu Ausweichmanövern zwingen oder ihre Vorfahrt nehmen.

 

Zum Eingewöhnen ging es mit dem Fahrrad von der Place de la Bastille im Zentrum der Stadt in den Bois de Vincennes. Etwas anstrengend war zunächst der relative hohe Verkehrslärm, der an mehrspurigen Straßen bekanntlich nicht unüblich ist. Doch das Château de Vincennes und die vielen Wälder und Grünanlagen entschädigten die Gruppe ebenso wie die Einkehr in eins der typischen Bistro-Restaurants. Dass aus alten Fabrikationsanlagen moderne Outlet-Center entstehen können, sahen wir später in Bercy Village an der Gare d‘Austerlitz.

 

Notre Dame de Paris ist ein Muss beim Besuch der Stadt. Doch wenn die Besucher 500 m Schlange stehen, um das Innere der Kathedrale besichtigen zu können, lässt das müde Radler zurückzucken. So musste denn ein langer Blick auf die imposante äußere Erscheinung reichen. Vom Dach des Centre des Cultures d’Islam (Islamisches Kulturzentrum) hat man einen wunderbaren Blick über die Dächer von Paris – ohne Touristenmassen, so dass alle Sehenswürdigkeiten in Ruhe betrachtet werden können. Abends zog uns das Panthéon in seinen Bann – wegen der vorgerückten Stunde allerdings auch nur von außen. Dieses Gebäude ist die nationale Ruhmeshalle Frankreichs und enthält nicht nur die Grabstätten berühmter Persönlichkeiten der Grande Nation, sondern auch das Foucaultsche Pendel, mit dem die Erdrotation endgültig nachgewiesen wurde.

 

Menschenmassen finden sich allabendlich am Eiffelturm und am Trocadéro ein, um einem stündlich stattfindenden Schauspiel beizuwohnen. Ab Einbruch der Dämmerung fängt der ohnehin in seinen Konturen beleuchtete Eiffelturm für Minuten an zu funkeln, glücklicherweise nicht in kitschigen bunten Farben. Dass die Blockade einer Métrolinie, die selbst um 10 Uhr abends mit einer Taktfrequenz von vier (!) Minuten befahren wird, gigantische Folgen hat, erfuhren wir an diesem Abend. Der Passagierstrom wurde umgelenkt, Busse waren überfüllt, Droschken samt und sonders ausgebucht. Doch glücklicherweise gibt es nicht nur eine Métrolinie, so dass wir unser Hotel quasi „von hinten durch die Brust ins Auge“ erreichen konnten.

 

Der Canal Saint-Martin erwartete uns am nächsten Morgen. Er führt durch umgestaltete Industriereviere. Große Grün- und bewaldete Flächen reduzieren die Hitze der Stadt – die Spitzentemperaturen lagen bei 35 Grad, doch dank der Grünflächen waren selbst diese Temperaturen erträglich. Erneut zeigt sich, dass eine vorausschauende, ökologische Belange berücksichtigende Stadtplanung Gold wert ist. Abends wartete das Quartier Latin rund um die Kirche Sacré Cœur auf dem Mont Martre. Von den Stufen der Kathedrale reicht der Blick weit ins Land hinein. Obwohl diese Kirche zu den meist besuchten Sehenswürdigkeiten von Paris gehört, hielt sich der Andrang in Grenzen, so dass einer Innenbesichtigung nichts im Weg stand.

 

Der letzte Radtag führte zu den weiteren Sehenswürdigkeiten der Stadt. So ging die Tour zum Amphitheater von Lutetia, wie die Stadt zur Römerzeit hieß, Palais du Luxembourg (heute Sitz des französischen Senats), die Freiheitsstatue auf der Île aux Cygnes (eine von insgesamt fünf Statuen in Paris, die alle der amerikanischen Liberty ähnlich sehen), Place de la Concorde mit dem berühmten Luxor-Obelisken und zum Louvre (leider nur von außen).

 

 

Der letzte Tag bot noch eine Stadtbesichtigung der anderen Art. Von einem Schiff aus erkundeten wird die Stadt an der Seine und erhielten imposante Blicke auf die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten.

 

Etwas ungewohnt muteten die zahlreichen antiterroristischen Sicherheitsvorkehrungen an: Sicherheitsschleusen vor jeder Sehenswürdigkeit, Betonsperren in Zufahrten, schwer bewaffnete Patrouillen der Gendarmerie und des Militärs, die plötzlich in Einkaufszentren oder auf der Straße auftauchten. Und trotzdem verhielten sich Bewohner und Touristen, als gäbe es für diese Maßnahmen keinen Anlass. Sie alle brachten den Willen nicht nur der französischen Bevölkerung zum Ausdruck: Wir lassen uns durch keinen Terror der Welt einschüchtern!

 

So endete nach fünf Tagen eine erlebnisreiche Fahrt in die Metropole an der Seine. Auf über 100 km summierte sich die an den drei Radtagen zurückgelegte Strecke. Der Beweis ist erbracht: Mit einem Fahrrad durch Paris ist keine Fantasie.

 

Text und Fotos: Wolfgang Schaar; Foto Thalys: Rosi Stelzer