Geführt von Klaus-Peter und assistiert von 2 Fahrrad-Apps startete die Gruppe über das Frankfurter Granit-Pflaster, um schon bald den zweiten Härtetest über Wiesen und Schotterstrecken zu bestehen. Doch die Entschädigung erfolgte in Form von bestens asphaltierten Wegen, die nach dem Jahrtausend-Hochwasser von 1997 mit den neuen Oderdeichen angelegt worden waren. Dort ließ es sich sehr entspannt radeln, und der Blick schweifte durch die manchmal sehr urtümliche Landschaft des Oderbruchs: Weite Wasserflächen, grüne Wiesen, silbrig-grünschimmernde Weiden, Raubvögel, die auf eigens am Deich angelegten Gerüsten nach Beute spähten. Und natürlich die Störche. Sie suchten auf den gemähten Wiesen nach Futter und ließen sich auch von Radlern und Mähmaschinen kaum stören. In den zahlreichen Storchennestern, hoch oben auf besonderen Plattformen gebaut, waren auch viele Jungvögel zu sehen.

 

 

Bei gefühlten 30 Grad auf den meist schattenlosen Deichen im Biosphärenreservat ließ sich Tag 3 mit bewölktem Himmel gut an. Doch schon bald zogen dunkle Wolken auf. Der Rückenwind trieb die Geschwindigkeit auf über 30 km/h, und die waren auch nötig, um einen vorläufigen Unterschlupf in einem Supermarkt in Schwedt zu erreichen: er bot Schutz für die erste halbe Stunde eines heftigen Unwetters.

 

Doch später erwischte ein weiterer Landregen die Gruppe. Glücklicherweise waren auf den einsamen Wegen keine Autos unterwegs, so dass es trotz Regens noch eine recht entspannte Tagesetappe wurde.

 

 

Der Nordosten Deutschlands gehört zur norddeutschen Tiefebene. Damit verbinden viele die Vorstellung einer flachen Landschaft, durch die sich die Oder gemächlich hindurchschlängelt. Für des „Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse“, die Mark Brandenburg, trifft dies auch teilweise zu. In der Nähe von Gartz in der Uckermark jedoch verlässt der Radweg die Oder, die sich nun weit ins östliche Nachbarland Polen hinein ihr Bett sucht, bevor sie im Stettiner Haff in die Ostsee mündet.

 

Nun führte der Radweg durch eine Moränenlandschaft. Die letzte Eiszeit hat hier deutliche Spuren hinterlassen und eine unerwartet hügelige Landschaft modelliert. Wunderbar, wenn man das Rad hinunterlaufen lassen kann, vom schweren Gepäck vorangetrieben. Doch schon bald folgt der nächste schweißtreibende Anstieg. Und wenn dann noch der Wind den Regen in schweren Tropfen nahezu horizontal auf des Radlers müde Schenkel und Gesicht treibt, wächst die Sehnsucht nach einem Dach über dem Kopf…

 

Doch glücklicherweise hatte es ab dem 4. Tag ein zwar etwas kühleres, dafür jedoch angenehmes und vor allem trockenes Wetter. So ließen sich die täglichen meist 50 bis 65 km locker bewältigen, und es war immer Zeit für eine Pause mit den kleinen und großen Leckereien, die das Land bot. Und immer wieder standen die Monumente der Vergangenheit am Wegesrand: Kirchen, Museen und alte Häuser ebenso Zeugen der jüngeren Vergangenheit wie das russische Panzerdenkmal in Kienitz; hier überquerte die Rote Armee im Januar 1945 die Oder.

 

 

Die Quartiere reichten von einem der ältesten Gasthöfe Brandenburgs in Bleyen über Hotels und Pensionen bis zur Jugendbegegnungsstätte und zur Ferienanlage. Immer war für das leibliche Wohl bestens gesorgt, und zum schmackhaften Oder-Fisch (Zander, Hecht & Co.) gab es köstliche Bratkartoffeln, „göttlichen“ Gurkensalat und lokales Bier. Die Bratkartoffeln in den zu den Unterkünften gehörenden Restaurants hatten es allen angetan, waren sie doch „wie bei Muttern“ als Kartoffelwürfel mit Zwiebeln und oft auch Speck langsam in der Pfanne gebraten.

 

 

Und die Kirschen? Oft wuchsen am Wegesrand Kirschbäume, die satt Früchte trugen. Für einige Reiseteilnehmer eine unwiderstehliche Versuchung. Wegen der ungeheuren Fruchtfülle luden uns auch Eigentümer ein, von den Bäumen zu naschen. Doch die stibitzten Früchte schmecken doch besser …

 

 

 

 

Usedom. Eine Insel halb polnisch, halb deutsch, im Stettiner Haff gelegen. Von Ueckermünde (dort gab es köstliche Fischbrötchen auf einem am Kai dauerhaft vertäuten Kutter) setzte ein kleines Fährschiff zur Insel über. Ein Abstecher ins polnische Świnoujście (Swinemünde) zeigte die bis vor zwei Jahrzehnten unvorstellbaren Vorteile des Reisens im grenzenlosen Europa: Nur die etwas anders aussehenden Verkehrszeichen und die völlig fremde Sprache zeugten von der Ankunft in einem anderen Land. Das von entgegenkommenden einheimischen Radlern freundlich zugerufene „dzien dobry“ ging nach kurzer Zeit auch einigen in der Gruppe leicht über die Lippen – fanden wir jedenfalls. Die berühmten Seebrücken im bereits wieder deutschen Ahlbeck und Heringsdorf, Bansin und Zinnowitz im sonntäglich-sonnigen Touristengewimmel und die zahllosen, allerdings erst spärlich besetzten Strandkörbe gaben einen Eindruck, wie es im Hochsommer zur Ferienzeit hier zugehen mochte.

 

 

 

Ein Unterkunfts-Highlight war die Ferienanlage in Kamminke auf der Usedom: Kleine Häuser mit 2 bis 4 Betten. Der Inhaber meinte, es sei doch sehr aufwändig und kostspielig, an beiden Abenden im etwa 1,5 km entfernten und gefühlte 100 m tiefer liegenden Restaurant im nächsten Dorf zu speisen. Kurzerhand beschaffte er alles Erforderliche für einen zünftigen Grillabend.

 

Nach einer letzten Übernachtung in Wolgast trug uns die Deutsche Bahn pünktlich über Berlin und rund 550 km Fahrstrecke zurück nach Mülheim. Das Fazit: Eine wunderschöne Radtour mit netten Leuten durch eine hier ziemlich unbekannte, faszinierende, in Teilen sehr geschichtsträchtige und häufig einsame Flusslandschaft.

 

 

Text und Fotos: Wolfgang Schaar