Am 28.05.2019 brachen 8 Netzwerk-Fahrer auf zu der achttägigen Radtour. Direkt in Aachen hatten 2 Fahrräder technische Gebrechen, die trotz heftigen Regens und Hagels schnell behoben werden konnten. Sodann ging es durch das Heuvelland, einem nördlichen Ausläufer der Ardennen in der niederländischen Provinz Limburg. Die Erhebungen von bis zu 320 m machen diese Landschaft zur einzigen Mittelgebirgsregion der Niederlande. Da mussten wir natürlich direkt mitten durch. E-Biker konnten meistens fahren, doch die 3 „mechanischen“ Radler ohne elektrische Pferdchen in der Tretkurbel wurden nicht nur unter der Regenbekleidung nass, sondern mussten ihre Räder samt Gepäck sogar einige Strecken schieben. Höhenmeter an diesem Tag: 370 m hinauf und 500 m hinab – das mit Abstand umfangreichste Höhenprofil der ganzen Tour, denn danach waren die größten Steigungen die Auffahrten zu Kanalbrücken.

Am späten Nachmittag gab es ein Highlight der ganz besonderen Art: Kurz vor Maastricht begann es erneut Katzen zu hageln, und wir versuchten Unterschlupf in einer modernen Kapelle zu finden. Eine Dame bat uns in ihre benachbarte Hofstelle, eines dieser typischen rechteckig ummauerten Gehöfte. Gerne nahmen wir ihre Einladung in den umgebauten Kuhstall an. Die nette Bäuerin versorgte die Gruppe landestypisch mit einem “kopje koffie“ und Schokolade, und mit dem Bauern entspann sich rasch ein Gespräch über Landwirtschaft, Gott und die Welt. Wenn Deutsch nicht zur Kommunikation ausreichte, ging es halt auf Englisch oder Niederländisch/Flämisch weiter.

Eine weitere Überraschung hielt der Tag noch für uns bereit: Entlang der Strecke waren Schilder aufgestellt, die Passanten vor von hinten nahenden „racefietsers“ warnte. War unsere Radgruppe damit gemeint? Immerhin fuhren wir als „fietsers“ (Radler) „fietsen“ (Fahrräder), und langsam waren wir gewiss nicht. Des Rätsels Lösung: Es handelte sich um Hinweistafeln für das „Amstel GoldRace“ quer durch den Süden der Provinz Limburg, das wenige Tage zuvor gefahren wurde.

Maastricht ist eine der ältesten Städte der Niederlande. Das Stadtbild der Altstadt wird noch heute durch mittelalterliche Gebäude geprägt.

 

In einer der Gaststätten am Marktplatz gab es die limburgische Spezialität „zuurvlees“ (saures Fleisch). Dies ist ein wie Gulasch geschnittenes, leicht sauer eingelegtes Rindfleisch. Dem deutschen Sauerbraten ist es allenfalls im weitesten Sinne vergleichbar, schmeckt doch die fast schwarze Soße eher nach weihnachtlichem Gebäck.

 

 

Das Geheimnis: In die Soße kommen unter anderem Gewürznelken, der berühmte niederländische Frühstückskuchen (Honigkuchen) und braunes Bier. Dazu gibt es frietjes, hierzulande als Pommes Frites bekannt, und natürlich ein kräftiges Bier, das gerne aus Belgien stammen darf.

 

Was macht man mit Kirchengebäuden, die nicht mehr benötigt werden? Maastricht zeigt an mehreren Beispielen, dass auch denkmalgeschützte Kirchen einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden können, wenn sie in einer attraktiven Innenstadtlage stehen. Eine Kirche wurde in Lobby und Bar eines Hotels umgewandelt, die Zimmer befinden sich in im benachbarten, ebenfalls aufgelassenen Kloster. In einer anderen Kirche residiert heute eine große Buchhandlung, eine weitere dient einem Fitness-Center als Domizil, und eine vierte Kirche beherbergt ein Restaurant. Ideen muss man haben…

Radeln in Belgien und den Niederlanden macht einfach nur Spaß. Die meisten Radwege befinden sich in einem makellosen Zustand und enden keinesfalls wie hier so oft irgendwo im Nirgendwo. Gute Markierungen, Wegeführungen getrennt vom Autoverkehr, wenn nötig sichere Überwege über die Straße sind Standards, die von tatsächlich Rad fahrenden Menschen entwickelt wurden. Das System der Wegweiser besteht aus den Nummern sogenannter Knotenpunkte. Auf Karten und Tafeln am Wegesrand sind Orte und Wegstrecken verzeichnet, und der Radler muss sich lediglich die Reihenfolge der Knotenpunktnummern merken – oder sich von digitalen Navigationssystemen leiten lassen. Unser Tourguide Rosi ging auf Nummer sicher und hatte sowohl die Liste der Knotenpunkte auf ihrem Lenker montiert als auch Wolfgang gebeten, mit einem Navigationssystem die Fahrtroute zu überwachen. Den Fahrspaß erhöhten auch die belgischen Autofahrer: Kam die Gruppe an die Kreuzung mit einer Fahrstraße, gewährten diese der Gruppe ohne Zögern Vorrang. Böse Zungen mutmaßten, dies geschähe lediglich aus Bedenken wegen unseres Alters und der Helme auf den Köpfen (zumindest in den Niederlanden tragen nur Radrennfahrer und Menschen mit einem Handicap Helme … doch das ist sicher in Belgien alles anders).

Das beste Navigationssystem versagt jedoch, wenn Kanalbrücken für einen Neubau abgebrochen sind. Die Folge sind teilweise lange, natürlich navigationsgestützte Umwege, und am zweiten Tag wurden so aus den geplanten 65 km „mal eben“ 82. Wie gut, dass das Restaurant mit leckerem Essen und gutem belgischen Bier so dicht neben dem Hotel lag.

 

Vielfach führten die Radwege an Kanälen entlang, manchmal auch darüber hinweg. In diesen Fällen halfen die kleinen, kostenlosen Fähren weiter, die an allen wichtigen Kreuzungspunkten eingerichtet waren. Manchmal zogen sich die Wege schier endlose Kilometer am Kanal entlang. Entschädigt wurden wir durch großartige Blütenteppiche am Wegrand: Klatschmohn, Kamille, Kornblumen, Schafgarbe und andere Pflanzen zeigten sich in ihrer natürlichen Blütenpracht.

Auf einer dieser Strecken ereilte Franz eine Reifenpanne. Der Übeltäter war schnell als eine Heftzwecke identifiziert. Statt nur ein Loch in den Schlauch zu stechen, wütete sie regelrecht in dem Gummi. Nach einige Flickversuchen musste der Schlauch gewechselt werden. Herbert, der sich so schnell von keinem technischen Gebrechen an einem Fahrrad entmutigen lässt, wagte sich an die ihm völlig fremde Materie des Aus- und Wiedereinbaus des Hinterrads an einem E-Bike. Franz konnte alsbald weiterradeln.

Weitere Stationen der Reise waren Diest, Mechelen, Belare, Gent und schließlich Brügge. Diese Städte haben überwiegend mittelalterliche Bebauungskerne. Hinzu kommen oft innerstädtische Kanalsysteme, die teilweise durch Passagierboote erschlossen sind. Leider reichte unsere Zeit nicht für eine Grachtenrundfahrt. Doch dafür wartete in Brügge eine Stadtführerin auf uns, die nicht die übliche Führung zu den von Touristen überlaufenen Sehenswürdigkeiten anbot, sondern uns zum Beispiel zu den Beginenhöfen führte. Beginen sind in einer klösterlichen Gemeinschaft lebende, aber nicht durch ein Gelübde gebundene, zum Teil wohlhabende Frauen. Noch heute werden die Tore der Höfe abends verschlossen und erst am Morgen wieder geöffnet. Männer haben während der Nacht keinen Zutritt. Heute wird der älteste Beginenhof aus dem 13. Jahrhundert von Schwestern des Benediktinerinnenordens und alleinstehenden Frauen aus Brügge bewohnt.

Zum Abschluss in Brügge durfte das belgische Nationalgericht „moules-frites“ nicht fehlen: frische Miesmuscheln in verschiedenen Soßen, natürlich mit frietjes und Bier. Jeder Belgier verzehrt im Durchschnitt jährlich etwa vier Kilogramm Miesmuscheln – vier Mal so viel als der Durchschnitt der EU-Bürger.

Der Zug brachte die Radler zurück nach Deutschland. Großzügig sahen die belgischen Schaffner darüber hinweg, dass die Räder teilweise Ein- und Ausstiege verstellten. Das wäre bei der Deutschen Bahn schwerlich vorstellbar. Wegen eines Blitzeinschlags in die Bahnstrecke zwischen Mülheim und Essen hatten alle Züge auf diesen Strecken eine Stunde und mehr Verspätung. Doch glücklicherweise gibt es Regionalbahnen, die nicht auf den Hauptstrecken fahren. So erreichten wir am späten Nachmittag Duisburg. Dort erlebten wir ein letztes, allerdings negatives Highlight. Beim Ausstieg aus dem Zug drängten die Leute vom Bahnsteig in den Waggon, obwohl alle sehen konnten, dass da an der Endstation noch einige Räder auszuladen waren. Ansprache nützte nichts, und so trugen uneinsichtige Leute schnell mal Radspuren auf ihren Schuhen und Knüffe davon.

Die paar Kilometer von Duisburg zurück nach Hause waren nach den vielen Tourkilometern leicht zu bewältigen, obwohl zum Abschluss noch einmal Regen niederging. Doch auch das konnte den Gesamteindruck einer tollen Radtour mit einer bewährten, netten Gruppe und den vielen Sonnentagen in Belgien nicht trüben.

Text und Bilder: Wolfgang Schaar