Der Name des Flusses „Hase“ leitet sich aus dem germanischen Wort für graue Farbe („haswa“) her, hat folglich mit dem vierbeinigen Ostereierbringer nichts zu tun. Schon bei Tacitus, dem römischen Historiker, ist der Name im ersten nachchristlichen Jahrhundert belegt. Der Name der Ems hingegen, dem längsten in Deutschland entspringenden und bis zur Mündung „ungeschoren“, d.h. ohne eine Namensänderung bleibenden Fluss, lädt nicht zu Wortspielen ein. Die Hase wurde vor Osnabrück künstlich in die Hase und die Else (keine Wortspiele bitte) geteilt und mündet in einem Delta, sprich mehreren Flussarmen (u.a. Große Hase, Kleine Hase, Deichhase) bei Meppen in die Ems. Kurz hinter Osnabrück wird sie in einem Düker (Druckleitung) unter dem Mittellandkanal durchgeführt. Die gute Hase erlebt also einiges auf ihrem 170 km langen Lauf.

Zügig ging es mit der Bahn am ersten Reisetag nach Osnabrück. Der Mülheimer Regen fuhr zwar mit, doch verpasste er in Osnabrück den Ausstieg. So konnte die Gruppe am Nachmittag noch etliche Kilometer radeln, und zwar entgegen der generellen Fahrtroute in Richtung Hasequelle im Teutoburger Wald. Leider sind die Beschilderungen in Osnabrück nicht sehr vorbildlich, so dass bald die Stadtbesichtigung angesagt war.

Osnabrück entwickelte sich um den 780 von Karl dem Großen gegründeten Bischofssitz. Dementsprechend gibt es einige sehr große Kirchen und auch den Dom St. Peter, dessen erste Mauern aus dem 8. Jahrhundert stammen. Die Kirche St. Marien, eine protestantische, gotische Kirche am Marktplatz ist so beeindruckend, dass man sie für den Dom halten könnte. In der belebten, langen Fußgängerzone reihen sich Geschäfte und Gastronomiebetriebe. Dazwischen stehen Fachwerkhäuser aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Überraschend ist für Mülheimer immer wieder, wie in anderen, etwa gleich großen Städten so viele Menschen von der Innenstadt angezogen werden und auch in der Fußgängerzone verweilen – vielleicht liegt es an dem Besatz mit teilweise hochwertigen Geschäften und der zahlreichen Gastronomie.

Dass Osnabrück seit 1412 dem Hansebund angehörte, ist wahrscheinlich vielen bekannt. Wenige wissen indes, dass die Stadt neben Münster der zweite Verhandlungsort für die Friedensverträge war, die den 30jährigen Krieg 1648 beendeten – den Krieg, der letztlich auch zum Untergang der Hanse geführt hat. In Münster wurden die beiden Verträge letztlich gemeinsam unterzeichnet.

Gleich der erste Radtag führte an der noch schmalen Hase entlang zum Mittellandkanal. Highlight des Tages war ein kleines Dorf namens Alfhausen, gelegen am gleichnamigen See. Wer denkt da nicht gleich an den kleinen pelzigen Außerirdischen ALF, der Ende der 1980er Jahre Fernsehserien belebte und für sein Leben gerne Katzen aß – egal ob diese vom Grill oder im Reisrand serviert wurden.

 

Zur Mittagspause des zweiten Tags kam Quakenbrück gerade recht. Der Name dieser schönen kleinen Stadt im Artland lädt zu Spekulationen ein, zumal viele Frösche in unterschiedlichen Variationen das Stadtbild zieren. Doch es ist wie bei der Hase: Der Frosch ist erst in neuerer Zeit zum Wahrzeichen der Stadt aufgerückt, und mit diesen Amphibien hat der Stadtname nichts zu tun. Forscher halten die Herkunft aus dem germanischen „Brücke über dem bebenden Sumpfgelände“ am wahrscheinlichsten.

Bei der Einfahrt nach Löningen, dem Nachtquartier dieses Tages, fielen zahlreiche geschmückte Fahrräder auf, die auf dem Hasedeich an Pfeilern befestigt waren. Am nächsten Morgen löste eine ältere Dame im geländegängigen Elektrorollstuhl das Rätsel. Jedes Jahr werden im Frühjahr Fahrrad-Fantasien ausgestellt. Viele stammen von Schulen und Kindergärten. Doch auch „unsere“ Dame beteiligte sich jedes Jahr mit neuen Kreationen. Heuer war eine radelnde Hexe ihr Thema. Für uns sah diese aus, als radle sie mit verkniffenem Gesicht gegen den allgegenwärtigen Nordwestwind, der der Gruppe zeitweise zu schaffen machte. Die sehr kontaktfreudige Dame kannte so manche Geschichten, doch so interessant diese auch waren, wir mussten weiter!

Wer kennt nicht Haselünne? Berühmt ist die Stadt mit den vielen Kornbrennereien durch ein Kultgetränk der 1980er Jahre: Apfelkorn. Auch heute noch kann man sich schnell wieder daran gewöhnen, vorausgesetzt, man mag diesen Geschmack. Doch es gibt es eine Reihe von Alternativen…

Die Gegend an Hase und Ems ist sehr ländlich geprägt, was man zeitweise auch sehr deutlich riechen kann. Viele Mais- und Senffelder begleiten die Radwege. Rinder hingegen findet man ganz überwiegend nur in Ställen. Diese sind meist riesig und modern ausgerüstet. In einem Stall bekamen die Kühe sogar eine seichte Musik vorgespielt.

Im Artland, einer Naturlandschaft im Raum Quakenbrück, finden sich
zum größten Teil gut erhaltene niederdeutsche Fachwerk-Hallenhäuser,
die Artlandhöfe. Sie gehören zu den Höhepunkten der Bauernhausarchitektur
in Deutschland und wurden von der bäuerlichen
Oberschicht bewohnt. Im 18. Jahrhundert kam der Artländer Knaggen-
Giebel in Mode, ein Giebel, der einen hohen Holzverbrauch verursachte,
hinter dem aber zumeist keine Nutzfläche geschaffen wurde;
diese Giebel dienten allein der Prunksucht und Zurschaustellung des
Reichtums. Mehrfach versuchte die Obrigkeit, diese Giebel zu verbieten,
allerdings ohne Erfolg.

In der Nähe von Haselünne trafen wir überraschend auf den 2,3 km langen Otto-Pankok-Rundweg. Er wurde 2011 in Bokeloh eröffnet. Der 1893 in Mülheim an der Ruhr geborene Pankok war ein bedeutender Vertreter des expressiven Realismus im 20. Jahrhundert. Von 1938 bis 1941 lebt er mit seiner Familie in Bokeloh, um hier seine Arbeit weitgehend unbehelligt von der faschistischen Diktatur ausüben zu können. Hier entstanden viele Bilder auch in der freien Natur, und der Rundweg führt zu den Stellen, an denen Pankok diese Bilder gemalt hat. Bis zu seinem Tod 1966 besuchte er das Dorf immer wieder, und es gibt sogar eine Otto-Pankok-Schule, in der Pankoks Tochter selbst die Schulbank drückte.

In Meppen mündet die Hase in den Dortmund-Ems-Kanal. Auf der Landzunge steht eine Windmühle, die 1639 im friesischen Bockhorn gebaut und zum 600. Geburtstag der Stadt Meppen versetzt wurde. Heute ist diese Mühle ein Ausflugsrestaurant. Direkt in der Nähe befindet sich ein weiteres technisches Baudenkmal. Eine der wenigen in Deutschland vorhandenen Koppelschleusen sollte den Abstieg vom Kanal in die Hase auch bei größeren Unterschieden im Wasserspiegel sicher stellen. Das besondere an Koppelschleusen sind mehrere hintereinander liegende Schleusenkammern. Das untere Tor der höherliegenden Schleuse dient gleichzeitig als oberes Tor der tieferliegenden Schleuse. Durch die Anordnung eines Tores in der Mitte der Schleuse ist man in der Lage, den Höhen-unterschied in zwei Etappen zu überwinden und so den Bauaufwand deutlich zu reduzieren. Die Meppener Schleuse wurde 1824 bis 1828 unter dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. errichtet. Die berühmteste Koppelschleuse befindet sich in Schottland im Kaledonischen Kanal, wo im sogenannten „Neptune’s Staircase“ gleich acht dieser Schleusenkammern gekoppelt sind.

In der Nähe von Lingen befinden sich ein Kernkraftwerk und ein Gaskraftwerk. Als Kühlwasserreserve für beide Einheiten wurde 1980 im 12 km entfernten Geeste ein bis zu 34 m tiefes Speicherbecken mit etwa 23 Millionen Kubikmetern Volumen errichtet. Das Becken hat keinen natürlichen Zufluss, sondern wird durch Wasserentnahmen aus dem Dortmund-Ems-Kanal gespeist. Wenn beide Kraftwerke, die üblicherweise mit Fluss- oder Kanalwasser gekühlt werden, auf diese Reserve zugreifen, sinkt der Wasserspiegel um acht Zentimeter am Tag. Das Becken und seine Umgebung werden auch als riesiges Freizeitareal genutzt. Es gibt sogar – wir sind ja in Deutschland – einen Segelverein Speichersee Emsland!

Nach sechs Tagen endete die von Beate hervorragend vorbereitete Tour in Rheine. 280 km lagen hinter der Gruppe, und abgesehen vom ersten Tag gab es nur strahlend blauen Himmel mit viel Sonnenschein. Allerdings war es morgens mit acht bis zehn Grad bereits empfindlich kühl. Das jedoch konnte die gute Laune und den Spaß dieser wirklich gut harmonierenden Gruppe nicht im Geringsten mindern. Und wie immer hielten gutes Essen und Trinken Leib und Seele zusammen.

 

Texte und Bilder: Wolfgang Schaar